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{Info on A-Infos}
BOUNCE a-infos@tao.ca: Non-member submission from [aw@koma.free.de (Adam Weishaupt)] (fwd)
From
A-Infos Canada <ainfos@tao.ca>
Date
Thu, 7 May 1998 18:52:37 -0400 (EDT)
________________________________________________
A - I N F O S N E W S S E R V I C E
http://www.ainfos.ca/
________________________________________________
Date: 07 May 1998 21:17:00 +0200
From: aw@koma.free.de (Adam Weishaupt)
To: a-infos@tao.ca
Message-ID: <6tOxx9RWciB@fautbb3.free.de>
Subject: (de) Signale aus den Kolonien
Keywords: Jungle World,Wochenzeitung,Politik
Summary: Nach einem Jahr Pause gibt es nun eine neue Nummer des telegraph. Mit
Warnungen vor "Fremdherrschaft" sucht die Redaktion nach Lesern im Osten
X-Mailer: XP v3.11
MIME-Version: 1.0
Content-Type: text/plain; charset=ISO-8859-1
Content-Transfer-Encoding: 8bit
Organization: I-AFD/IFA Gruppe Verden
Sender: a-infos-raw-request@tao.ca
Precedence: first-class
The following article is a critical assessment of the new editorial policy
of the ex-GDR oppositional paper "telegraph" which was largely inspired by
anarchist thought and comes to the conclusion that with its recently
released issue - the first after a one year pause - the paper has turned
into a magazine for "east-german nostalgia".
The article was published in the current issue of 'Jungle World', a weekly
radical leftists german newspaper consisting of the former undogmatic
faction of the communist german daily 'Junge Welt'. Each issue is
published on the web under http://www.nadir.org/jungle_world/ and the e-
mail address of the paper is jungle.world@t-online.de
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Jungle World 06.Mai.98
*Signale aus den Kolonien*
*Nach einem Jahr Pause gibt es nun eine neue Nummer des*
*telegraph. Mit Warnungen vor "Fremdherrschaft" sucht die Redaktion*
*nach Lesern im Osten*
Anarchistisch angehaucht waren die Umweltblätter, die erste
"Oppositionszeitung" in der DDR. Nach der Umbenennung in telegraph im
Herbst 1989 suchte das Blatt mit dem wachsweichen Untertitel
"behörden- und unternehmerunfreundlich" lange nach einem originären
Standpunkt, der mal mehr in Richtung autonome Hausbesetzerszene, mal
mehr in Richtung Bohleyschem Bürgerrechtlertum tendierte.
Die Hausbesetzerbewegung hat bekanntermaßen ihre beste Zeit hinter
sich gelassen, die "Bürgerrechtler" wurden endgültig von der CDU
gekauft - kein Wunder, daß die Bedeutung des telegraph beständig
nachließ. Ein Jahr erschien das Din-A 5-kleine Heft nicht mehr, jetzt
gibt es eine neue Nummer. Eine "erweiterte Redaktion", die sich aus
dem Prenzlberger Soft-Autonomenmilieu rekrutiert, will sich mit dem
neuen Untertitel "Ostdeutsche Quartalsschrift" "treu bleiben" und eine
"selbstbewußte Ost-Position" stärken.
Programmatisch ist da die Schwerpunktsetzung des ersten Heftes:
"Kolonie Ostdeutschland". Dabei bleibt die Redaktion sich vor allem
insofern treu, als sie den herrschenden DDR-Diskurs stützt. Der
telegraph feierte sich libertär als "Totengräber der SED", zu einer
Zeit, in der DDR-Bashing als Teil antikommunistischer Hetze nach der
Wende opportun war, und setzt nun, da alle Parteien von PDS bis Reps
ostdeutsche Gefühlslagen bedienen, ganz auf Ostalgie.
In diversen Artikeln wird nachgewiesen, daß die DDR von den Westlern
besetzt gehalten und der Osten gnadenlos durch den Westen ausgebeutet
werde. "Ostidentität" wird als Chance für einen "neuen Raum für
sozialistische Politik" verstanden, sie könne gar "revolutionäre
Potenzen entfalten". Die Landtagswahl in Magdeburg hat gezeigt, daß
der Osten in der Tat Potenzen für sozialistische Politik bietet -
allerdings für national-sozialistische.
Wie klein der Schritt von Ostalgie zu Rassismus und Antisemitismus
ist, beweist der telegraph mit seiner Argumentationsführung.
"Herrschaft" sei auf dem Gebiet der ehemaligen DDR "nicht nur durch
den Besitz von Fabriken und durch ein dickes Bankkonto gekennzeichnet,
sondern vor allem dadurch, daß sie von außen kommt, eine
Fremdherrschaft ist". Wer sind hier die Fremden? Die Westdeutschen? So
ist das wohl gemeint. Besäßen Ausländer oder Juden die Fabriken oder
die dicken Bankkonten, würde sich der Haß der telegraphen dann gegen
diese richten? Doch die Tatsache, daß es durch die rassistische
DDR-Politik, fortgesetzt durch die BRD nach der Wende, kaum Ausländer
in Ostdeutschland gibt, macht diese Argumentation nicht harmloser.
Die Faschowelle auf den Straßen und jetzt auch im Landtag von
Sachsen-Anhalt zeigt wieder einmal, daß Rassismus und Antisemitismus
auch ohne Ausländer und ohne Juden funktionieren.
Die Projizierung alles Schlechten auf die Fremden, von außen
Kommenden, fördert den nationalen Zusammenschluß, die Rückbesinnung
auf die Volksgemeinschaft, die heimatlichen Interessen am deutschen,
ersatzweise dem märkischen, mecklenburgischen oder Lausitzer Grund und
Boden. Als besonders gelungen bezeichnet der telegraph dann auch einen
Witz, der so geht: "Wann ist die deutsche Einheit vollendet? Wenn der
letzte Ossi aus dem Grundbuch gestrichen ist." Hier geht es nicht
darum, daß der Wessi ein böser Kapitalist ist und daher hassenswert.
Hier wird die pure Angst des Ossis unterstützt, vor der Überfremdung,
vor der Aneignung seines ihm durch Heimatrecht zustehenden Besitzes
durch irgendwen von außen. Das ist auch der Boden, auf dem die DVU im
quasi ausländerfreien Sachsen-Anhalt ihren rassistischen Wahlkampf
führte und auf dem die NPD den deutschen Arbeiter mobilisiert.
Daß es die DDR-Bevölkerung selbst war, die mit Sack und Pack ihrem
Begrüßungsgeld entgegenstürmte und sich Helmut Kohl an den Hals warf,
paßt natürlich nicht ins Konzept des sogenannten
"Kolonisierungsdiskurses". Dieser Aspekt findet daher auch keine
Beachtung im telegraph. Statt dessen wird die "Eroberung des Ostens"
ökonomisch erklärt. En détail weist ein Redakteur den Kapitalfluß von
Ost nach West nach, was die Formulierung "Kolonie" rechtfertige. Denn
"Merkmale für ein koloniales Verhältnis" seien "die
politisch-ökonomische Dominanz, die Bereicherung des Mutterlandes und
die Verarmung des kolonialisierten Gebietes". Dominanz durch wen?
Beutet der Wessi den Ossi aus? Oder ist es nicht vielleicht doch
einfach so, daß der Geschäftemacher, der Unternehmer, den Konsumenten,
den Arbeiter ausbeutet - wie überall?! Das Finanzkapital als fremdes
zu definieren, ist eine in der deutschen Geschichte nicht neue und im
Grunde antisemitische Angewohnheit. Den Kern jeder rassistischen
Ideologie trifft man, wenn man das Verhältnis der beiden deutschen
Staaten als das zweier Mutterländer bezeichnet. Hier wird die
Abstammung, die Herkunft als Kriterium akzeptiert, dabei ist es erst
einmal egal, für was. Entscheidend ist, daß die antirassistische
Anstrengung, Menschen unabhängig von ihrer nationalstaatlichen und
ethnischen Einordnung zu bewerten, ad absurdum geführt wird. Ebenso
wie die linke Position, Menschen ausschließlich nach ihrem
gesellschaftlichen Stand im Unterdrückungs- und Ausbeutungssystem
(früher "Klassenzugehörigkeit") einzuordnen.
Warum ist ein Unternehmer, der vor der Wende einen BRD-Paß hatte,
schlechter als einer, der einen DDR-Ausweis sein eigen nannte? Wenn
dann noch die "Verarmung" und "soziale Verelendung" der
bemitleidenswerten kolonialisierten - also offenbar hilflosen -
Ostdeutschen angeklagt wird, gerät die Argumentation zur Paranoia.
Klar gibt es ein ungerechtes soziales Gefälle West-Ost. Dennoch hat
sich im Osten nach der Wende das allgemeine Wohlstandsniveau erhöht.
Zwar gibt es jetzt eine nach unten offene soziale Hierarchie, die eine
vorher unbekannte soziale Angst mit sich bringt. Aber in derselben
Dresdner Straße, in der 1990 noch zwei Trabbis verloren herumstanden,
gibt es heute weit und breit keinen Parkplatz mehr.
Der rechtsextreme Aufschwung Ost, der eine Fremdenfeindlichkeit zur
Grundlage hat, die den Fremden aus dem Westen ebenso umfaßt wie den
fremden Bauarbeiter aus Polen, stützt sich auf Ostalgiker aller
politischen Spektren, die die Fremdheit jemandem gegenüber nicht in
einem Unterdrückungsverhältnis, sondern in einer fehlenden
Heimatverbundenheit oder kulturellen Unterschiedlichkeit suchen. Wenn
man dann noch berücksichtigt, daß DDR-Nostalgie auch die autoritären,
ordnungspolitischen und militaristischen Züge der DDR verklärt, wird
deutlich, wie in verschiedener Hinsicht Ostalgie und
Ostidentitätshuberei zum Einfallstor des Faschismus werden kann.
* Ivo Bozic
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